Longitudinalbau

Wolfgang Sofsky

Longitudinalbau

Ein Longitudinalbau ist längsgerichtet, meist auch mit einer Mittelachse. Das Gebäude hat dadurch eine Richtung, ein Ziel der Wahrnehmung und Bewegung: ein Altar, ein Thron, ein Gerichtspodest, eine Apsis. Da der Bau Anfang und Ende hat, benötigt er, anders als der Zentralbau, auch eine Fassade. Betritt man die Eingangspforte zieht einen der Raum unwillkürlich in eine Richtung, in die Tiefe, auf das Ziel hin. Dem entsprechen die Aktivitäten: Prozession, Verehrung, Gebet, Zuhören. Longitudinalbauten können die Form eines Saals, einer Halle (mit gleichhohen Seitenschiffen) oder einer Basilika (mit zwei oder vier niedrigeren Seitenschiffen) haben. Sozial begünstigt der Längsbau eine zahlreiche, hintereinander geordnete, serielle Gesellschaft, ohne direkte Interaktion, aber mit einem gemeinsamen Brennpunkt der Aufmerksamkeit. Das Mittelalter bevorzugte in der Sakralarchitektur Basilika und Hallenkirche, die Renaissance propagierte den Zentralbau als ideale architektonische Bauform, im Barock versuchte man sich häufig in Synthesen durch ein längsgerichtetes Oval. Der römische Saalbau von Il Gesù ist primär ein tonnengewölbter Saalbau, aber mit einer Kuppel über der Vierung, welche die Richtung auf ein Zentrum in der Höhe lenkt. Nach dem Konzil von Trient (1563) lehnte die katholische Kirche den Zentralbau strikt ab, um, wie es hieß, die Tradition zu stärken und heidnische Formen der Renaissance abzuschaffen. So schrieb der hlg. Karl Borromäus: „Eine Kirche sollte in Übereinstimmung mit der Tradition auf einem Kreuz als Grundriß erbaut sein. Rundbauten wurden für Tempel heidnischer Götter benutzt und selten für christliche Kirchen.“ Der Gesù war damals bereits fertiggestellt mit ihrer Kombination von horizontaler Bewegung und Vertikalachse, von Erlösungspfad und Himmelskuppel.