Lichtquellen und Bildlicht im Barock

Wolfgang Sofsky

Lichtquellen und Bildlicht im Barock

Ein wesentliches Kennzeichen des Barockstils ist die gezielte Lichtregie in Architektur, Malerei und Skulptur. Der Kontrast von Licht und Schatten erfährt eine dramatische Verschärfung. Leonardo hatte in seinem „Buch von der Malerei“ noch vor der Finsternis schwarzer Schatten gewarnt und auf seinen Bildern die weichen Übergänge des Sfumato bevorzugt. Die Funktion von Licht und Schatten faßt er indes in unübertroffener Klarheit zusammen: „Der Schatten verbirgt, das Licht zeigt.“

Zur Analyse einzelner Werke sind einige Unterscheidungen zweckmäßig:

1. „Bildlicht“ bezeichnet das optische Lichtgefüge, das im Bild erscheint. Eine Landschaft kann z.B. so in Erscheinung treten, daß unter einem hellen wolkenlosen Himmel, die Bäume lange Schatten auf einen Weg werfen und ihn schraffieren, während die andere Seite der Stämme hell von der Abendsonne beleuchtet wird. Das Wohnhaus verbleibt im Halbdunkel, da es rundum von Bäumen umstanden ist. Hier ist also das Bildlicht nach Helligkeiten und gemäß der natürlichen Beleuchtung verteilt.

2. „Eigenlicht“ entspringt der Bildwelt selbst. Neben dem Wohnhaus steht ein hellgelber Wagen, der sehr viel heller in Erscheinung tritt als das Gebäude im Schatten mit den dunkelroten und grauen Ziegeln. Es ist hier die Leuchtkraft und Helligkeit der Farbe, in der sich das Licht „inkarniert“. Die Farbe erzeugt selbst ein Licht. Lichtquelle und Bildlicht fallen beim Eigenlicht zusammen.

3. „Beleuchtungslicht“ ist eine Lichtquelle außerhalb des Bildes, das die Bildwelt beleuchtet und sie sichtbar macht. Was immer die Lichtquelle sein mag, sie selbst ist unsichtbar, aber sie zeigt das, was auf dem Bild zu sehen ist.  

Leonardo unterschied nun fünf Arten, wie Licht im Bild auftritt, also Weisen des Bildlichts: a) das scharf gebündelte Licht, das deutlich vom Dunkel abgegrenzt ist, z.B. einfallender Sonnenstrahl; b) das breite gebündelte Licht, das gleichfalls am Rande deutlich abgegrenzt ist, aber ein größere Zone beleuchtet, z.B. Licht durch eine geöffnete Tür, durch ein Fenster etc.; c) das allseitige Tageslicht ohne Konturen und ohne Sonne; d) das reflektierte Licht, das von hellen Wänden, Gegenständen, Spiegeln zurückgeworfen zu sein scheint; e) das durch transparente Stoffe wie Papier, Vorhänge durchscheinende Licht.

Zwischen Lichtquelle und Bildlicht besteht ein kausaler Zusammenhang. Die Lichtquelle ist die Ursache des Bildlichts. Insagesamt lassen sich vier Lichtquellen unterscheiden: 1. die natürliche Lichtquelle: Sonne, Mond, Tageslicht; 2. eine künstliche Lichtquelle: Kerze, Fackel, Feuer, Laterne, Scheinwerfer; 3. eine sakrale Lichtquelle: Glorenschein, göttliches Licht; 4. das unbestimmte Licht, das keiner Gattung 1-3 zuzuordnen ist.

Die bekannteste Dramatisierung des Bildlichts im Barock bieten viele Bilder von Caravaggio. Gegeben ist jeweils eine dunkle, nicht immer ganz finstere Szenerie. In diese fällt ein gebündelter Lichtstrahl, der häufig von links oben eintrifft, meist seitlich, seltener von vorn. Die Lichtquelle ist meist unsichtbar, nur ihre Wirkungen sind deutlich, das Licht macht einzelne Körperteile, Punkte und kleine Zonen sichtbar, der Rest bleibt im Dunkel. Es ist, als bestrahle ein Scheinwerfer einige Details der Szenerie. Zugleich fixiert dieses energische Licht die Dinge und Gestalten im Bild, es nagelt sie auf den Boden, auf den Sitz. Die Welt selbst verharrt in Finsternis, während das Licht Einzelheiten der Gestalt markiert. Das Licht beleuchtet den dargestellten Vorgang, aber nicht für die Figuren im Bild, sondern allein für den Betrachter. Die Bildgestalten wissen nichts von dem Licht, das sie trifft. Es leitet nicht deren Intentionen, Bewegungen, Handlungen. Das Licht ist eine eigenmächtige Kraft, es wirft die Person zu Boden, es wählt den Auserwählten aus. Es scheint, als würde das Ereignis des Bildes durch das Licht verursacht, als sei das Licht der Urheber des Geschehnisses. Es rückt nicht irgendein Vorkommnis ins rechte Licht, es erzeugt das, was im Bild geschieht. Der ursprüngliche Zustand der Welt ist die Dunkelheit, nicht Finsternis. Das Licht transformiert diesen Zustand in das Ereignis, welches das Bild zeigt. Woher das Licht jedoch stammt, ob aus einer natürlichen oder künstlichen Quelle, bleibt selbst im Dunkel. Die Lichtquelle ist mithin unbestimmt.