Märchen des Barock: Blaubart

Märchen des Barock: Blaubart

In Charles Perraults Märchen- und Geschichtensammlung von 1697 findet sich auch die Erzählung von Blaubart. Die Gebrüder Grimm nahmen sie, wie den „gestiefelten Kater“ nur in ihre erste Auflage von 1812 auf, in der zweiten Auflage von 1819 war sie eliminiert. 1845 verwandelte Ludwig Bechstein den barocken Stadtbürger in einen Ritter und rückte den Lustmörder damit historisch und sozial in weite Ferne. Bei Perrault indes hießt es noch:

„Es war einmal ein Mann, der hatte die schönsten Häuser in der Stadt und auf dem Lande, Gold und Silberzeug in Menge, kostbare Möbel und vergoldete Karossen; aber unglücklicherweise hatte dieser Mann einen blauen Bart, der ihn so abscheulich häßlich machte, daß, wo er sich nur sehn ließ, Frauen und Mädchen ihm aus dem Wege liefen. Eine vornehme Dame in seiner Nachbarschaft hatte zwei wunderschöne Töchter. Er hielt um eine von beiden an und überließ der Mutter die Wahl, sie möchte ihm geben, welche sie wollte. Aber sie wollten ihn alle beide nicht. Und wenn die eine sagte: „Nimm du ihn“, so sagte die andre: „Ei, behalte du doch den Blaubart selbst!“ Genug, es konnte sich keine entschließen, einen so häßlichen Mann zu heiraten. Dazu kam auch noch, daß er schon mehrere Frauen gehabt hatte, von denen kein Mensch wußte, wo sie hingekommen waren. Eines Tages nun kam Blaubart hin zu ihnen, um sie näher kennenzulernen, und nahm sie mit ihrer Mutter und drei oder vier von ihren besten Freundinnen und einigen jungen Leuten aus der Nachbarschaft auf eins von seinen Landhäusern, und sie blieben da ganze acht Tage zusammen. Da wurde nun an nichts gedacht als an Spaziergänge, Jagdpartien, Bälle, Redouten, Diners und Soupers; kein Mensch tat die ganze Zeit über ein Auge zu, denn man trieb die ganze Nacht Scherz und Kurzweil. Die Sachen gingen so gut, daß endlich die jüngste Schwester den Bart ihres Wirts so gar blau nicht mehr fand und daß sie zugab, er sei doch ein recht braver Mann. Mit einem Worte, die Sache wurde richtig, und da sie wieder in die Stadt gekommen waren, machten sie Hochzeit.“

Bald nach der Hochzeit sagt Blaubart seiner jungen Frau, daß er für sechs Wochen in wichtigen Angelegenheiten aufs Land fahren müsse. Er überreicht ihr einen Schlüsselbund und sagt ihr, sie könne sich im Haus frei bewegen und solle sich während seiner Abwesenheit ruhig vergnügen. Keinesfalls dürfe sie jedoch den bestimmten kleinen Schlüssel zur Kammer am Ende der Galerie verwenden, sonst hätte sie alles von seinem Zorn zu gewärtigen.  

Kaum ist Blaubart abgereist, eilen die Freundinnen zu Blaubarts Haus. „Nun ging es treppauf treppab, durch Zimmer und Kammern, von denen immer eine schöner und prächtiger war als die andre. Hierauf gingen sie in die Vorratsgewölbe und gerieten ganz außer sich über die Menge von prächtigen Tapeten, Betten, Sofas, Schränken, Tischen und Spiegeln, in denen man sich vom Kopfe bis auf die Füße besehen konnte und die alle prächtige Rahmen von Glas, Silber und Email hatten. Bei jedem neuen Stück, das ihnen in die Augen fiel, priesen sie das Glück ihrer Freundin und beneideten sie wegen ihrer schönen Sachen. Aber sie fand an all den Herrlichkeiten wenig Vergnügen, denn sie konnte vor Ungeduld nicht erwarten, bis sie die Kammer in dem untersten Stockwerk gesehn hätte. Endlich konnte sie ihrer Neugierde nicht länger Gewalt antun, sondern war so unhöflich, von der Gesellschaft wegzulaufen; und nun ging es eine heimliche Treppe hinunter, Hals über Kopf, so daß sie dreimal mit den Absätzen hängenblieb und beinahe den Hals gebrochen hätte. Da sie an die Türe kam, bedachte sie sich einige Minuten, ob sie ihrem Manne gehorchen oder ob sie sich seinem Zorne aussetzen wollte. Aber die Versuchung war zu stark, und es war ihr unmöglich, Herr darüber zu werden. Sie nahm also den kleinen Schlüssel und öffnete zitternd die Tür. Anfänglich sah sie nichts, weil die Fensterladen alle fest, sehr fest zu waren; aber als sie einige Minuten gewartet hatte, sah sie, daß der Fußboden mit geronnenem Blute bedeckt war. In diesem Blute spiegelten sich die Leichname von mehrern Frauen, die der Reihe nach an der Wand hingen. Dies waren alle die Frauen, die Blaubart geheiratet und die er alle nach der Reihe ums Leben gebracht hatte. Nun stelle man sich vor, wie die arme Frau erschrak, die schnell den Schlüssel abzog und ihn fallen ließ. Sie hob ihn schnell wieder auf, schloß die Tür zu und ging in ihr Zimmer, um sich ein wenig zu erholen. Aber sie konnte gar nicht zu sich selbst kommen, so außer sich war sie. Da sie sah, daß der Schlüssel blutig geworden war, wollte sie ihn abwischen; aber das Blut ging nicht ab; sie wusch ihn, sie scheuerte ihn mit Sand, es blieb immer Blut daran; denn der Schlüssel war verzaubert, und es war unmöglich, ihn ganz rein zu machen. Wenn das Blut auf der einen Seite weg war, kam es auf der andern wieder zum Vorschein.“

Am selben Abend kam Blaubart zurück, tags darauf  verlangte er den Schlüssel zurück, bemerkte das Blut und erkannte sofort, das seine Frau hinter sein Geheimnis gekommen war. „Nun wohl, Du sollst hineinkommen und den Damen Gesellschaft leisten, die Du darin gesehn hast.“ Sie warf sich ihrem Gemahl zu Füßen, weinte, bat um Verzeihung und bezeigte die lebhafteste Reue über ihren Ungehorsam. Ihr Kummer und ihre Tränen hätten einen Felsen erweichen können, aber Blaubarts Herz war unempfindlicher als ein Fels. „Ohne Gnade, Madame“, antwortete er, „Sie müssen auf der Stelle sterben!“ „Ach“, erwiderte sie mit Tränen, „wenn ich denn also sterben muß, so vergönnt mir wenigstens noch einige Augenblicke, um Gott meine Seele zu befehlen und meine Sünden abzubitten!“ „Ich gebe Dir eine halbe Viertelstunde Zeit“, antwortete er, „aber auch keinen Augenblick länger.“ Die Gemahlin schickte indes ihre Schwester auf den Turm, um zu sehen, ob ihre Brüder schon herbeiritten. Mehrfach erfährt siedaß von den Rettern nichts zu sehen ist. Dreimal ruft Blaubart sie herbei, schließlich winkt ihre Schwester eifrig die Brüder herbei. „“Nun“, schrie Blaubart zum vierten Male, daß das ganze Haus zitterte, und die arme Frau kam herunter mit verweinten Augen und zerrauften Haaren. „Das hilft alles nicht“, sagte Blaubart, „Du mußt sterben.“ Dann packte er sie mit der einen Hand bei den Haaren und mit der andern holte er aus, um ihr den Kopf abzuhauen. – Die arme Frau wandte sich ihm zu, sah ihn mit sterbenden Augen an und beschwor ihn, ihr nur noch einen Augenblick zu schenken, um sich zu sammeln. – „Nein, nein“, sagte er, „die Gnadenzeit ist vorbei!“ Und nun holte er aus … In diesem Augenblick schlug man stark an die Türe, und Blaubart hielt ein. Die Türe öffnete sich, und zwei Reiter traten herein, mit dem Degen in der Hand, und liefen auf Blaubart los. Er erkannte sie als die Brüder seiner Frau, von denen der eine ein Dragoner, der andre von des Königs Leibwache war. Er fand nicht für gut, sie zu erwarten; aber die beiden Brüder verfolgten ihn und holten ihn ein, ehe er die Treppe erreichen konnte. Sie machten kurzen Prozeß, stießen ihm den Degen in den Leib und ließen ihn liegen. Die arme Frau war auch beinahe tot, und sie hatte nicht soviel Kräfte, um aufzustehn und ihre Brüder zu umarmen.

Es fand sich, daß Blaubart keine Erben hatte und daß also seine Frau in dem Besitz aller seiner Reichtümer blieb. Sie wendete einen Teil davon an ihre Schwester Ännchen, um sie mit einem jungen Edelmanne zu verheiraten, den sie schon seit langer Zeit geliebt hatte; ferner kaufte sie jedem ihrer Brüder eine Hauptmannsstelle und verheiratete sich endlich selbst an einen sehr rechtschaffnen Mann, bei dem sie die bösen Tage vergaß, die sie mit Blaubart zugebracht hatte.“