La Rochefoucauld: Über das Lob

La Rochefoucauld: Über das Lob

Vor über 350 Jahren, im Jahre 1664 also, entschied der Herzog von La Rochefoucauld, Prinz von Marcillac und Pair von Frankreich, einige seiner Einsichten zusammenzustellen und sie unter dem Titel „Réflexions ou sentences et maximes morales“ herauszugeben, eine gänzlich unvollständige Sammlung, die in den folgenden Jahren von 300 auf rund 500 Aphorismen anwachsen sollte, welche – nicht nur wegen des Umfangs – zahllose Leser fanden, die endlich wissen wollten, was es mit den Maskeraden des Menschen auf sich habe und warum zuletzt niemandem über den Weg zu trauen sei. Keiner hat die Schlupfwinkel der Verstellung derart gründlich ausgeleuchtet wie La Rochefoucauld, dieser Rebell gegen den höfischen Zentralstaat und Mitkämpfer der Fronde gegen Mazarin, was ihm eine schwere Verletzung im Gesicht und den Verlust eines Auges eintrug, wodurch die Sehkraft des verbliebenen Auges jedoch derart geschärft wurde, daß ihm nichts mehr entgehen sollte. Noch eine Eloge auf seine Sentenzen- und Menschenbeobachtungskunst gerät in den Verdacht einer Maskerade, die La Rochefoucauld bereits unnachsichtig entlarvt hat.

„Man lobt ungern, und man lobt nie jemanden ohne Eigennutz. Lob ist eine listige, versteckte, feine Schmeichelei, die Spender und Empfänger anders befriedigt. Dieser nimmt sie als Preis für seine Verdienste an, und jener gibt sie, um seine Billigkeit und Urteilskraft ins rechte Licht zu setzen.

Wir wählen oft giftige Lobsprüche, die durch einen Gegenstoß Fehler an dem Gelobten hervorspringen lassen, die wir auf keine andere Art aufzudecken wagen.

Gewöhnlich lobt man, um gelobt zu werden.

Wenige Menschen sind weise genug, nützlichen Tadel verräterischem Lob vorzuziehen.

Es gibt lobenden Tadel und tadelndes Lob.

Lobsprüche ablehnen heißt, nochmals gelobt werden wollen.

Das Lob, das man uns erteilt, dient wenigstens dazu, uns in der Ausübung der Tugend zu stärken.“

(F.de La Rochefoucauld, Reflexionen oder moralische Sentenzen und Maximen)